WestEnd 2/2019

Mit Unwahrheit kämpfen. Zur Aktualität von Vernunftkritik

In: WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung 16.2 (2019), 25–46.

Zusammenfassung

Die kritisch gemeinte Diagnose eines »postfaktischen Zeitalters« erinnert mit großem Pathos an »die« Wahrheit als notwendige Grundlage von Demokratie, ja von Politik überhaupt. Angesichts eines republikanischen US-Präsidenten, der strategisch »alternative Fakten« produziert, seine eigenen Widersprüchlichkeiten ignoriert und andere Meinungen als »fake news« denunziert, erklärt sich leicht, warum der Widerstand dagegen im Namen der Wahrheit erfolgt. Doch vergisst diese Kritik, wie problematisch die Berufung auf die eine Wahrheit von jeher war und noch immer ist.
In diesem Artikel begründe ich daher die Notwendigkeit von Vernunftkritik aus den Funktionen, die die Diagnose eines »postfaktischen Zeitalters« in den politischen, wissenschaftlichen und medialen Kämpfen der Gegenwart spielt. Vernunftkritik darf jedoch nicht den Ungeheuerlichkeiten das Wort zur reden, die den berechtigten Anlass zu dieser Diagnose bilden. Daher argumentier ich nicht nur für die Notwendigkeit der Vernunftkritik, sondern zeige auch, wie sie in den genannten Kämpfen emanzipatorisch wirken kann.