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Workshop Wie weiter mit der politischen Epistemologie?

Derzeit erlebt die „politische Epistemologie“ einen regelrechten Boom. Seit der Wahl von Donald Trump, dem Brexit-Referendum und nun auch angesichts der Corona-Pandemie wird die Rolle von Wahrheit und Wissen in der und für die Politik sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Philosophie breit diskutiert. In der philosophischen Debatte werden beispielsweise Verschwörungstheorien erkenntnistheoretisch analysiert, weil man sich um deren politische Konsequenzen sorgt, oder es wird der Versuch unternommen, politische Normen und Verfahren zu bestimmen, um demokratische Aushandlungen wirksam gegen Falschinformationen verteidigen bzw. angemessen mit Fakten versorgen zu können.

Den Anlass zu diesem Workshop liefert die Vermutung, dass die Beziehung von Epistemologie und Politik in der bisherigen philosophischen Debatte meist als eine externe begriffen worden ist: Beide Seiten werden als prinzipiell voneinander unabhängig verstanden; ihre Beziehung zueinander ist optional. Dementsprechend werden Epistemologie und politische Philosophie miteinander kombiniert, ohne zu hinterfragen, ob und wie sich beispielsweise die in Anspruch genommenen Wissensbegriffe und Demokratiekonzeptionen zueinander verhalten. Im Rahmen des Workshops möchten wir untersuchen, ob es nicht einen engeren, internen Zusammenhang von Wahrheit und Wissen mit Politik gibt. Könnte es sein, dass nicht nur Politik eine epistemische Dimension besitzt, sondern auch Wissen und Wahrheit eine politische Dimension haben? Diese Annahme findet sich sowohl in der feministischen oder sozialen Erkenntnistheorie und der Debatte um epistemic injustice als auch in der Frankfurter kritischen Theorie, im französischen Poststrukturalismus und in der postkolonialen Theorie.

Um zu einem angemesseneren Verständnis des Zusammenhangs von Wissen/Wahrheit und Politik zu gelangen, möchten wir auf diesem Workshop die genannten Ansätze miteinander ins Gespräch bringen. Dabei interessieren uns besonders drei Fragenkomplexe:

  1. Transformation von Grundbegriffen: Inwieweit kann, soll oder muss die politische Epistemologie die Basiskonzepte von Erkenntnistheorie und politischer bzw. Sozialphilosophie revidieren? Braucht es andere Wissens und Wahrheitsbegriffe, um deren internen politischer Dimension gerecht zu werden? Wie stellt sich komplementär die Umarbeitung von Politik und Demokratiekonzepten dar, wenn deren epistemische Dimension mitberücksichtigt werden soll? Wir heißen insofern alle Beiträge willkommen, die sich diese Transformation von Grundbegriffen zur Aufgabe machen.
  2. Konfrontation von Traditionen: Ansätze zu einer politischen Epistemologie, die von einem internen Verhältnis von Wissen/Wahrheit und Politik ausgeht, haben sich in vielen verschiedenen Traditionen in der Philosophie sowie den Sozial und Geisteswissenschaften entwickelt. Nach wie vor scheint uns allerdings der Dialog – und auch der Streit – zwischen diesen Traditionen unzureichend; gegenwärtig herrschen oft Unkenntnis und Unverständnis vor. Wir begrüßen insofern Beiträge, die sich bemühen, diese Grenzen zu überwinden und einen wechselseitigen Lernprozess in Gang zu bringen.
  3. Diagnostische Konsequenzen: Politische Epistemologie hat immer auch ein zeitdiagnostisches Interesse. Wie stellen sich aktuelle Probleme wie der Anstieg von Unwahrheiten in der Politik, der Aufschwung epistokratischer Vorschläge oder die doppelte Tendenz einer Epistemologisierung von Politik und einer Politisierung von Wissenschaften aus der Perspektive einer politischen Epistemologie dar, die ein internes Verhältnis von Wissen/Wahrheit und Politik annimmt? Welche diagnostischen Vor und Nachteile hat diese Vermutung? Wir sind insbesondere an Beiträgen interessiert, die konkrete Phänomene aus dieser veränderten Perspektive in den Blick nehmen.

Programm

1. Juni 2023

14:00–14:30 Begrüßung Kristina Lepold (HU Berlin) & Frieder Vogelmann (Universität Freiburg)

14:30–15:30 Anke Graneß (Universität Hildesheim): Zum Verhältnis zwischen epistemischer und globaler sozialer Gerechtigkeit

15:45–16:45 Claudia Brunner (Universität Klagenfurt): Wissen(schaft) und Gewalt(freiheit). Konzeptionen epistemischer Gewalt am Schnittpunkt herrschaftskritischer Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften

16:45–17:15 Pause

17:15–18:15 Hilkje Hänel (Universität Oldenburg): Politische Epistemologie als Nicht-ideale Epistemologie

18:30–19:30 Martin Kusch (Universität Wien): The Political Metaphysics of Scientific Knowledge

1. Juni 2023

9:30–10:30 Frieder Vogelmann (Universität Freiburg): Wahrheit als Kraft, materialistisch gedacht

10:45–11:45 Gerald Posselt (Universität Wien): Wahrheitspolitik und politische Epistemologie

12:00–13:00 Olaf Müller (HU Berlin): Neopragmatistische Erkenntnislehre am Beispiel des Pazifismus

13:00–14:30 Mittagspause

14:30–15:30 Sophie Veigl (Universität Wien): Über die (Un)Möglichkeit irreduzierbar epistemischer Unterdrückung

15:45–16:45 Robin Celikates (FU Berlin): Epistemische (Pseudo-)Solidarität

16:45–17:15 Pause

17:15–18:15 Nadja El Kassar (Universität Luzern): Individuell und strukturell? Neue Perspektiven auf Unwissenheit

Weil die Plätze begrenzt sind, bitte wir Sie, sich bis 24.5.2023 unter political_epistemology at ucf punkt uni minus freiburg.de anzumelden.